Gerrit Fester »Mach es richtig, nicht halbherzig!«
Das Projekt „Erfahrungen und Potenziale an einen Tisch – Unternehmergespräche im Lausitz Lab“ brachte 2017/2018 Lausitzer Unternehmer in Erzählsalons zusammen. Einer der Erzähler war Gerrit Fester. Lesen Sie hier seine Geschichte.

Dr. Gerrit Fester im Erzählsalon »Wie ich meine Mitarbeiter für Neues motiviere«
Ich wurde 1980 in Rodewisch im Vogtland geboren, studierte Chemie in Freiberg und schloss 2009 mit der Promotion ab. Im Folgejahr fing ich bei der Schmid Group in Freudenstadt an, die damals in Schwarze Pumpe ein neues Werk errichtete. Ich arbeitete zunächst als Projektleiter, dann als Inbetriebnahmeleiter und zum Schluss in der Labor- und Qualitätsleitung. Eine spannende Zeit.
Schnell erkannte ich jedoch, dass die Herstellung von Fotovoltaik-Silizium in Deutschland vor dem Aus stand. Einzig die Wacker Chemie AG behauptete sich in Deutschland, der Rest stellte diesen Herstellungszweig ein. Ich sagte mir also: »Jetzt musst du schleunigst etwas anderes machen«.
Ich ging in die Welt hinaus. Als Projektleiter und Leiter der Business Unit Asia bei der centrotherm photovoltaics AG baute ich in Katar, China, Indien und Südkorea Chemieanlagen auf. Ich betreute die Prozesse von der Planung bis zur Inbetriebnahme und Übergabe. In diesen vier Jahren war ich viel unterwegs: mindestens hundertfünfzig Flüge pro Jahr, davon hundert Langstreckenflüge – in meiner Managementposition ganz normal. So ging es von China aus für zwei Tage nach Katar und wieder zurück für weitere vier Wochen nach China. Wer in der Chemieindustrie Karriere machen möchte, muss flexibel sein.
Nach vier Jahren fragte ich mich: »Wie lange willst du das machen?« Die Arbeit war interessant, aber ich opferte mein Leben auf. Oft arbeitete ich sechzehn Stunden am Tag, flog vierundzwanzig Stunden nonstop, stieg am anderen Ende der Welt aus dem Flieger und verhandelte das neueste Projekt, dann ging es zum nächsten Standort. Ich sagte: »Jetzt ist Schluss!«
Wie so viele Dinge im Leben funktioniert das berufliche Fortkommen oft über persönliche Kontakte. Ein Bekannter hatte mich schon vor längerer Zeit angesprochen: »Gerrit, hast du Lust, bei mir einzusteigen?« »Um ehrlich zu sein: Nein. Ich bleibe aktuell lieber im Ausland«, hatte ich ihm geantwortet. Als wir jedoch im letzten Jahr gemeinsam segelten, kamen wir auf meinen Wunsch nach beruflicher Veränderung zu sprechen. »Wenn du etwas hast, lass es mich wissen«, sagte ich ihm. Und so geschah es, dass er mir den Kontakt zu einem seiner Bekannten herstellte.
Der Mann war Unternehmer, gerade 66 Jahre alt geworden und dachte daran, aus der Firma auszusteigen. Ihm gehörte die E u. G – Energiebau GmbH Berlin mit der Tochter Cottbuser Hochdruck GmbH. Wir passten gut zusammen, weil wir beide nicht viel um die Dinge herumredeten. Wir setzten uns mit zwei Bier an einen Tisch, er legte die Unternehmenszahlen o en und wir sprachen über unsere Vorstellungen zur Unternehmensführung. Unsere Abmachung lautete: Wir leiten die Firma ein halbes Jahr gemeinsam. Ich stieg als Projektleiter ins Unternehmen ein, ging also eine Stufe auf der Karriereleiter zurück. Meine Bedingung lautete: Der Noch-Inhaber musste 25,1 Prozent seiner Anteile an mich abgeben. Zu meiner Sicherheit. Wäre unsere Zusammenarbeit gescheitert, wäre es ihm dadurch schwergefallen, mich aus dem Unternehmen zu drängen. Zudem führe ich mein Leben nach dem Motto: Wenn du etwas machst, mache es richtig und nicht halbherzig! Ich wollte mich komplett auf das Unternehmen einlassen.
Am 1. April 2017 übernahm ich den Standort Cottbus als Geschäftsführer. Seit dem 1. Juni 2017 bin ich Geschäftsführer in Berlin. Mein Vorgänger fungierte zunächst neben mir als gleichberechtigter Geschäftsführer. Am 31. Dezember 2017 verließ er das Unternehmen, bleibt aber als Gesellschafter daran beteiligt.
Ein Hemmnis bei der Unternehmensübergabe waren steuerliche Probleme wie die Stichtagsregelungen beim Ausstieg des alten Geschäftsführers. Leider stoßen wir in Brandenburg auf keine unternehmensförderliche Politik. Andererseits gibt es mit der IHK einen guten Ansprechpartner in Cottbus. Hier fanden und finden wir Unterstützung. Aber die ungünstigen Rahmenbedingungen sind schwer auszuhebeln.
Problematisch war zudem der Generationenkonflikt zwischen dem alten Eigentümer und mir. Dieser trat in der anfänglichen Zusammenarbeit zutage. Mein Vorgänger gehört einer Unternehmergeneration an, die den autoritären Führungsstil pflegte. Ich dagegen, der ein wenig in der Welt herumgekommen war, führe meine Firma teamorientiert. Diese verschiedenen Philosophien zusammenzubringen, ist schwer, aber machbar.
Wenn der alte Inhaber sagte: »Auf dem Schi gibt es nur einen Kapitän, und der bin noch ich!«, dann versuchte ich, gelassen zu bleiben. Warum soll ich mit jemandem, der sein Unternehmen fünfundzwanzig Jahre lang mit autoritärer Führungskultur leitete, eine Grundsatzdiskussion führen? Meinen Ärger steckte ich zurück und wartete auf eine gute Gelegenheit, um den Streitpunkt bei einem Bier anzusprechen: »Ich denke, es ist besser, wir machen die Sache auf meine Weise«, sagte ich dann. Er ließ sich zumeist überzeugen.
Reibungspunkte entstanden auch bei der Mitarbeiterführung. Wir rekrutierten eine Reihe junger Kollegen, denen wir gute Perspektiven auf Qualifizierung und auf die Meisterausbildung bieten. Mein Vorgänger hielt derweil an den Kollegen fest, die bereits seit fünfundzwanzig Jahren ihren Weg an seiner Seite gingen. Für sie gibt es Sonderkonditionen. So arbeiten sie nie am Sonnabend, da müssen die Jungen ran. Einige von ihnen beschweren sich gelegentlich: »Man, was soll das eigentlich?«
Dieses Problem wird sich auswachsen, denn viele der langjährigen Kollegen sind älter als fünfundfünfzig Jahre.Weil die körperliche Belastung im Anlagenbau deutlich höher ist als bei Büroarbeitern, arbeitet bei uns kaum einer länger als bis 63. Unsere Aufgabe besteht in den nächsten Jahren deshalb darin, neue Mitarbeiter zu finden. Das ist eine der größten Herausforderungen, denn hier in der Lausitz kämpfen wir schon heute mit Personalengpässen.
Zudem leiden wir unter einer katastrophalen Infrastruktur. Die Anbindung an Flughäfen, Bahnhöfe und an die Autobahn ist zum Teil schlechter als in der Wüste. Auch beim Internet sieht es nicht gut aus. Seit einem Jahr versuchen wir erfolglos eine belastbare Internetanbindung für unseren Firmensitz in Cottbus zu bekommen. Das ist natürlich ein Handicap und macht unsere Arbeit unnötig »spannend«.
Alles in allem haben wir bei der Unternehmensübergabe einen guten Ansatz gefunden. Nach und nach wird mein Vorgänger seine Anteile reduzieren und sie mir übereignen. Persönlich werden wir in Kontakt bleiben. Ich bin gespannt, wohin die Reise unseres Unternehmens in den nächsten Jahren geht.