Wie interkulturelles Zusammenleben in der Stadt gelingt

Katrin Rohnstock (Mitte) eröffnet den Erzählsalon „Wie gelingt interkulturelles Zusammenleben in der Stadt?”
Eine Nachlese des Erzählsalons „Wie gelingt interkulturelles Zusammenleben in der Stadt?”, zu dem sich am Mittwoch, dem 7. September 2011 zwanzig Frauen unterschiedlichen Alters und Herkunft sowie ein Mann bei Rohnstock Biografien eingefunden hatten.
Von Gastautorin Monika Hebbinghaus
Berlin wählt, und eines der wichtigsten Themen im Wahlkampf ist die Integration von Migranten. Jede Partei, jeder Kandidat hat dazu seinen eigenen Ansatz. Von den Wahlplakaten tönt es als grimmige Aufforderung („Integration ist eine Bringschuld!”) oder allgemeines Plädoyer („Für mehr Vielfalt!”) bis hin zur kuscheligen Akzeptanz des Status Quo („Berlin verstehen.”).
Doch wie sehen die Erfahrungen von Menschen „mit Migrationshintergrund” aus? Und was erlebt man als Mitglied der Mehrheit mit diesem Thema? Diesen Fragen wollte der Erzählsalon „Wie gelingt interkulturelles Zusammenleben in der Stadt?” im Vorfeld der Wahl nachgehen. Im Salon Rohnstock hatte sich dazu eine bunte Runde eingefunden: Rund 20 Frauen unterschiedlichen Alters und Herkunft und ein(!) Mann, die ihre Integrations-Geschichten erzählten.
Gleich zu Beginn zeigte sich, wie schwierig es werden würde, eine der wichtigsten Regeln des Salons zu beachten: nicht zu diskutieren. Denn Integration ist ein emotional aufgeladenes Thema. So schlugen die Wogen gleich hoch, als ein deutsch-koreanischer Teilnehmer von seinen Erfahrungen berichtete. Er empfand die permanenten Nachfragen nach seiner Herkunft („Ich komme schließlich aus Schöneberg!”) als rassistisch, was die Teilnehmer ohne Migrationshintergrund nicht auf sich sitzen lassen wollten.
Viele Integrationsgeschichten sind zwiespältig. Sie handeln von hilfreichen deutschen Nachbarn („die Wohnungstüren standen immer offen, die Töchter unserer Familien sehen sich heute als Blutsschwestern“), bornierten deutschen Lehrern („wäre ich deutsch, man hätte mir eine bessere Abi-Note gegeben”) und dem ewigen Kampf um Anerkennung („Niemand konnte sich vorstellen, dass man mir bestimmte Dinge erlauben würde – du bist doch Türkin, deine Eltern sind also streng!”). Nachdenklich stimmte der Bericht einer türkischen Mutter, deren in Deutschland aufgewachsene Töchter es gar nicht erwarten können, nach dem Abitur in die Türkei zu gehen – weil sie endlich das Gefühl haben wollen, dazu zu gehören.
Und die deutschen Teilnehmerinnen? Erzählten vom Kampf mit der türkischen Bürokratie („Die hat die Türkei übrigens von Deutschland übernommen”), dem Wunsch, im Ausland seine Herkunft am liebsten zu verschleiern („Ich habe mich immer diebisch gefreut, wenn niemand mehr sagen konnte, woher ich eigentlich kam”) oder dem Bemühen um Verständnis für die Bedürfnisse der Zuwanderer. So erzählt eine ehemalige Krankenschwester von ihrem Bemühen um mehr Familienfreundlichkeit auf der Kinderstation, wo die kurzen Besuchszeiten und auch die scheinbar kleinen Dinge wie ein fehlendes Kopfkissen türkische Mütter und ihre Kinder verzweifeln ließen.
Zwei 16-jährige Mädchen, deutsch-marokkanischer und aserbaidschanischer Herkunft, erzählten von ihrem Schulalltag auf dem Gymnasium, vom bunt gemischten Freundeskreis und der asiatischen Popmusik, die sie durch südkoreanische Freunde kennen- und schätzen gelernt hatten. Was dabei auch durchklang: der unterschiedliche kulturelle Hintergrund bereichert die Freundschaft, ist selbstverständlich. Und manchmal – eher selten – gehören auch „Deutsche” dazu.
Warum die Anführungszeichen? Weil eine Schwierigkeit sämtliche Erzählungen begleitete. Die nach der Benennung. Das unsägliche Wort-Ungetüm „Migrationshintergrund” mochte niemand für sich in Anspruch nehmen. Aber sich selbst als „Deutsch” zu bezeichnen, weil man in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, die Sprache spricht und hier seinen Lebensmittelpunkt hat, das würde bedeuten, die eigenen Wurzeln zu verleugnen. Und so konnten sich die meisten Teilnehmer darauf einlassen, dass sie „Berliner” sind. Sich mit der Stadt zu identifizieren, ein Teil ihrer wilden Mischung zu sein, das kann sogar so weit gehen, im Urlaub in der Türkei Heimweh nach Berlin zu bekommen – wie eine Teilnehmerin des Erzählsalons in ihrer ganz persönlichen Integrationsgeschichte erzählte.
Und die Religion? Die spielte in diesem Kreis keine Rolle. Ein Kopftuch trug keine der Frauen. Sonst wären wohl noch ganz andere Geschichten erzählt worden.
Die Autorin Monika Hebbinghaus ist Radiojournalistin, u.a. für Radio Bremen und Deutsche Welle.