Sebastian Kießling – »Von der Uni ins kalte Wasser: Cottbusser Gasturbinen auf Weltniveau«

Sebastian Kießling (2. v.r.) beim Unternehmergespräch im Lausitz Lab
Das Projekt „Erfahrungen und Potenziale an einen Tisch – Unternehmergespräche im Lausitz Lab“ brachte 2017/2018 Lausitzer Unternehmer in Erzählsalons zusammen. Einer der Erzähler war Sebastian Kießling. Lesen Sie hier seine Geschichte.
Ich stamme aus der Oberlausitz. In Zittau geboren, verbrachte ich einen Teil meiner Kindheit in Görlitz, bis meine Eltern entschieden, nach Berlin zu gehen. Bereits mit sechzehn Jahren stieg ich in das Geschäftsleben ein. Gemeinsam mit ein paar Schulkameraden betrieb ich einen Computer-Hardware-Handel. Dieser lief gut, weil es die großen Internetanbieter noch nicht gab. Als ich für mein Studium in die Lausitz zurückkehrte, hatte ich jedoch keine Zeit mehr dafür.
Ich studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus, mit besonderem Fokus auf Kraftwerkstechnik. An der Hochschule lernte ich Professor Berg kennen, der bis heute den Lehrstuhl für Verbrennungskraftmaschinen und Flugantriebe innehat. Dort ging es um die Entwicklung von Klein- und Mikrogasturbinen. Im Gegensatz zu den Lausitzer Kohlekraftwerken produzierten diese maximal Strom im einstelligen Megawattbereich.
Ende 2010 tat ich mich mit Professor Berg und einem weiteren Wissenschaftler zusammen und wir gründeten - quasi aus der Universität heraus - die Euro-K. Wir hatten Glück und bekamen schnell den ersten Auftrag. Danach wandelten wir unsere Unternehmergesellschaft (UG) in eine GmbH um und überwanden so das erste Trägheitsmoment der Unternehmensgründung. Professor Berg und ich fanden als Gesellschafter eine klare Regelung. Er verantwortet den wissenschaftlichen Teil, ich organisiere den geschäftlichen, die Technik und das Tagesgeschäft.
Aber zurück zu meiner Zeit an der BTU: Die Firma Bilfinger SE aus Mannheim betrieb von 2010 bis 2014 ein Entwicklungsprojekt, bei dem es um die erste deutsche Mikrogasturbinenentwicklung im Bereich Hundert Kilowatt ging. Ich begleitete das Projekt in seinem Anfangsjahr und lernte alles über die technische und wirtschaftliche Projektleitung. Nachdem ich die Uni verließ, lieferte die Euro-K dem Projekt weiter zu und entwickelte in einem Unterprojekt Brennerköpfe für Bilfinger.
Als das Entwicklungsprojekt nach dem Verkauf der Ingenieurbausparte von Bilfinger beendet wurde, hatte ich mich - zu unserem großen Glück - bereits abgekoppelt. In der freien Wirtschaft gilt es, die Zeichen der Zeit zu erkennen und früh genug zu sagen: „Jetzt springen wir ins kalte Wasser.”
Ich wählte das ganz kalte Wasser. Wir arbeiteten an unserem ersten Gesamtsystem, der Entwicklung einer Mikrogasturbine. Die Projektkosten kalkulierten wir auf deutlich über fünf Millionen Euro, die Laufzeit auf drei oder vier Jahre - ein extrem hohes Risiko. Beinahe wären wir daran gescheitert.
Wir suchten für das Produkt einen entsprechend großen Kunden. Da wir in der Region keinen fanden, sprangen wir in das besagte kalte Wasser und dehnten die Suche aus. Wir analysierten die Teilmärkte der Welt, in denen in naher Zukunft Bedarf für solche Systeme existieren würde. Dann gingen wir vor Ort aktiv auf die Suche.
Schließlich fand ich unseren Kunden in China. Mit ihm setzten wir das Projekt um. Mittlerweile befinden wir uns in der Prototypenphase. Es fehlen noch dreißig Prozent, damit liegen wir auf der Zielgeraden. Unser Team meistert eine komplette Mikrogasturbinenentwicklung - vom leeren Blatt Papier bis zum fertigen, validierten, zugelassenen Endprodukt. Mit Spezialtechnologie für aktive und passive Luftlager, für die es nur wenige Hersteller auf der Welt gibt. Darin besteht unser technisches Alleinstellungsmerkmal.
Wenn ich gefragt werde: „Wie groß ist der Ertrag Deiner Arbeit?”, erwidere ich: „Nun, finanzieller Gewinn ist auch dabei, aber es geht nicht ausschließlich um Geld, sondern das Schöne dabei ist, eine Wertschöpfung zu realisieren und ein Team aufzubauen.”
Mein Team besteht aus 25 Mitarbeitern. Unseren Umsatz und Gewinn machen wir in Asien. Damit wir nicht von nur einem großen Auftraggeber abhängig sind, möchte ich mehr Umsatz durch kleinteilige Aufträge realisieren. Maximal dreißig Prozent dürfen durch einen Großkunden abgedeckt sein. Deshalb steckte ich einen Großteil des Ertrages, den wir erwirtschafteten, in unsere Projekte zur Entwicklung von Turbinen-Systemen, die für unterschiedlichste Kunden bereitgestellt werden können.
Mittlerweile haben wir uns im Entwicklungsbereich stabilisiert. Ein Bein steht, aber um wirklich zu „laufen”, brauchen wir ein weiteres. Deshalb planen wir, die Produktion für Mikrogasturbinen in Cottbus aufzubauen. Ich verhandle darüber mit der Stadt. Wir müssen Antworten auf verschiedene Fragen finden: Wo bauen wir?, oder: Wie überführen wir unserer Manufaktur in die Kleinserienproduktion?
Zudem brauchen wir für unsere Pläne Spezialisten im Gasturbinenbau. Allerdings kämpft die Region mit Nachwuchssorgen. Insbesondere fehlen Universitätsabsolventen, Ingenieure. Die meisten jungen Menschen, die zum Studium nach Cottbus kommen, verlassen die Region nach ihrem Abschluss. Sie gehen dorthin, wo sie das beste Gehalt verdienen.
In der Lausitz ist das durchschnittliche Lohnniveau deutlich niedriger als in den Ballungsräumen. Ich zahle meinen Mitarbeitern den gleichen Lohn, den sie als Ingenieure an der Universität bekämen. Wenn die Cottbuser Absolventen jedoch zu Siemens nach Berlin gehen, verdienen sie ein paar Hundert Euro mehr.
Ich frage mich: Warum entscheiden sich junge Menschen heute für den Ingenieursberuf? Spreche ich mit Bewerbern im Vorstellungsgespräch antworten sie mir: „Ich bin Ingenieur geworden, um viel Geld zu verdienen.” Ich erwidere ihnen: „Wärst du Investmentbanker geworden, hättest du sehr viel schneller sehr viel mehr Geld verdient.”
Für unsere Mitarbeiter gilt: Wer zu uns kommt, der bleibt. Seit der Unternehmensgründung musste ich nur einen einzigen Kollegen entlassen. Wir nutzen ein Kernarbeitszeitmodell von 9 bis 15 Uhr, ebenso ein Modell mit Grundurlaub und entsprechender Bezahlung. Darüber hinaus arbeiten wir mit Zielvereinbarungen.
Alle Fragen, die über das Grundmodell hinausgehen, werden direkt mit mir verhandelt. Das geht von: „Ich brauche mehr Geld, mehr Urlaub, noch flexiblere Arbeitszeiten” zu „Ich möchte mehr Homeoffice machen” und „Ich möchte eine spezielle Weiterbildung absolvieren, mit der ich nicht nur der Firma diene, sondern auch mir selbst.” Mit dieser Methode sind alle zufrieden. Sie gibt den Mitarbeitern ein grobes Raster vor, lässt ihnen jedoch die Freiheit, sich zu entwickeln.
Meine Führungsleute - drei Projektleiter und ein Koordinator - leben für ihren Beruf, sie haben ihn im Blut. Egal ob bei Ingenieuren oder Facharbeitern, was zählt ist: Man muss das wollen, was man tut, man muss dafür brennen. Nur so kann man etwas dauerhaft aufbauen, auch und gerade als Team! Nur so ist es möglich, Aufgaben zu teilen.
Am Anfang machte ich alles allein: Ich schweißte, plante die Projekte, schrieb Angebote und stand am Prüfstand. Dann ging ich in die Kundengespräche, verhandelte im Millionenbereich. Wie das geht, hatte mir keiner gezeigt! Kurzum: Die ersten drei Jahre arbeitete ich an allen Fronten, unter sehr viel Druck.
Ich bemühte mich, alte Hasen ins Team unserer Firma zu holen, um von ihren Erfahrungen zu profitieren. Ich weiß nicht, warum das nicht gelang. Mit dem heute anstehenden Strukturumbruch in der Region wird es mir vielleicht leichter fallen, erfahrene Facharbeiter für die Euro-K zu gewinnen.
In den ersten Jahren musste ich in der Firma zunächst Strukturen aufbauen. Auch das hatte ich nicht gelernt. Ich komme aus keiner Unternehmerfamilie, in der die Nachfolger das Geschäftsführen schon von Kindheit an mitbekommen. Auch die Wissenschaftler an meiner Seite besaßen keine unternehmerische Erfahrung.
Im Laufe der Zeit lernte ich jedoch, dass es zum Erfolg dazu gehört, Aufgaben abzugeben und bestimmte Bereiche loszulassen. Heute ist mein Tagesgeschäft gekennzeichnet von einem Mix aus Struktur und Spontanität. Mein Büro steht jederzeit für die Mitarbeiter offen. Mir ist wichtig, Zeit für ihre Anliegen und Probleme zu haben und schnell darauf zu reagieren.
Die Herausforderung meiner Arbeit besteht deshalb darin, die Balance zu finden, um die langfristigen Meilensteine der Firma nicht aus den Augen zu verlieren und dennoch flexibel auf plötzlich auftretende Probleme zu reagieren. Dabei hilft es, dass ich für meinen Beruf brenne und stetig daran arbeite, uns solide aufzustellen.