Gespür für die Sprache und die Botschaft des Erzählenden
Meine Neugier auf die Geschichten des Lebens erwachte auf dem Friedhof in Gingst auf Rügen. Während wir frische Blumen auf die Gräber stellten, erzählte meine Mutter. Zum Beispiel über meinen Großvater, einen Baumeister, der viele Häuser der Insel mit Reet eingedeckt hat. Obwohl ich ihn nie kennengelernt hatte, malte ich mir, dank der Erzählungen meiner Mutter, sein Leben aus.
Als Jugendliche schrieb ich für die Schülerzeitung, später für den Rügen-Lokalteil der Ostseezeitung – Texte über engagierte Insulaner und deren Alltag. Die Wendezeit 1989 erlebte ich als Abiturientin, die das Weltgeschehen nicht mehr verstand. Eigentlich wollte ich Journalistik studieren, machte aber eine Banklehre, um mir Zeit zu verschaffen. In Hamburg studierte ich später Soziologie, ergänzt um Journalistik und Psychologie. Journalistin wurde ich nicht. Ich entschied mich für die Personalentwicklung beim Hamburger Verlag Gruner + Jahr und bildete mich zur systemischen Coachin weiter.
Nach der Geburt meiner Tochter wurde die Frage nach unseren eigenen Wurzeln bedeutsam. Ich forschte nach Familienmitgliedern und deren Lebenswegen, notierte alles sorgsam. Ich unterstützte meinen Vater dabei, seine ostpreußische Kindheit und seine Kriegserlebnisse auf einem Handelsmarineschiff aufzuschreiben.
Als ich eine neue berufliche Perspektive suchte, rückte das Schreiben wieder in meinen Fokus. Bei Rohnstock Biografien absolvierte ich die Ausbildung zur Autobiografikerin. Ich schrieb mein erstes »Buch des Lebens« über eine Kindheit im faschistischen Deutschland und stalinistischen Russland.
Silke Ennen, Jahrgang 1971, lebt in Hamburg mit ihrem Mann und einer Tochter
Erzählende in ihrem Wesen und ihrer Würde wiedergeben
Als Autobiografikerin entwickle ich ein Gespür für die Sprache und die Botschaft des Erzählenden, um ihn mit seinem Wesen, seiner Würde, gut lesbar und authentisch wiederzugeben. Auch bei meiner Arbeit als ausgebildete Trauerbegleiterin liegt der Schwerpunkt im biografischen Schreiben. Und so erlebe ich immer wieder, wie viel Kraft und Trost im Erzählen und Bewahren von Erinnerungen stecken.