In einem Altbau residiert das Unternehmen »Rohnstock Biografien«. Ein bürgerliches Treppenhaus, oben Holzparkett und Rattansessel, Salonatmosphäre. Hier kommt her, wer sein Leben erzählen und danach aufgeschrieben haben möchte und dafür ein Jahr Zeit und mindestens 10 000 Euro mitbringt. Und das sind viele, der erfolgreiche Gynäkologe genauso wie die resolute Kneipenwirtin oder der Mann, der nach dem Krieg aus Polen fliehen musste und erst fünfzig Jahre später seine Heimat wiedersah.
Beim Erzählen vergegenwärtigen wir uns, was wir erlebt und welche Widerstände wir gemeistert haben. Wir stellen fest: Das ist beachtlich, was wir geschafft und bewältigt haben. Mit dem Erzählen schaffen wir uns unsere Identität. […] Wir haben über 300 Geschichten aufgeschrieben. Oft kommen die Kinder zu uns, um die Geschichte der Eltern in Auftrag zu geben.
Es ist anspruchsvoll, eine Lebensgeschichte so aufzuschreiben, dass sie dem, der sie erzählt hat, beim Lesen aus dem Herzen spricht. Es ist ja, als würde man einer Person eine zweite Haut weben. […] So ein Buch braucht eine Dramaturgie, die die Leser oft gar nicht wahrnehmen. Sie bemerken in der Regel nur, wenn es stockt, wenn es Wiederholungen oder Brüche gibt. Die meisten Menschen spüren beim Lesen, was eine gute Geschichte ist.
In Großräschen wird heute ein Buchprojekt über den Wandel in der Lausitz präsentiert. Initiatorin Katrin Rohnstock sprach seit Mitte 2015 mit Bewohnern der Region über ihre Heimat. Am Ende kamen 300 Geschichten von Menschen zwischen acht und 88 Jahren zusammen. Sie sind mit Fotos der Beteiligten in dem Buch »Lausitz. Lebensgeschichten einer Heimat« zusammengefasst.
Wie können die Menschen vor Ort stärker in die Strukturentwicklung einbezogen werden, denn nur sie selbst sind in der Lage, ihre Region voranzubringen? Den Schlüssel dazu findet man über das Erzählen von Geschichten, über den Austausch von Alltagserlebnissen, weiß Katrin Rohnstock, Inhaberin von Rohnstock Biografien. ›In den kleinen Geschichten steckt die große Geschichte. Und die Identität der Erzähler sowie der Orte, in denen die Erzähler leben.‹
Katrin Rohnstock hat die Fähigkeit diese Geschichten zu Papier zu bringen und dennoch die eigentlichen Personen aus ihnen sprechen zu lassen. Daraus entstehen dann Bücher, in ganz unterschiedlicher Auflage - manchmal auch nur ein einziges, dass die Familiengeschichte für nachfolgende Generationen bewahrt.
Die niedrigste Auflage eines Buches (von Rohnstock Biografien) bestand aus fünf Exemplaren und bei der Jubiläumsausgabe der Berliner Stadtreinigung bekam jeder Mitarbeiter ein Buch, das der Firmenchefin sehr am Herzen liegt. Es kommen nur die Mitarbeiter zu Wort. Diese prallen Erzählungen ›der Müllis‹ haben es der lebenstüchtigen und lebenslustigen Germanistin Katrin Rohnstock angetan.
Wenn der Senior offen erzählt, was er getan, wie er gehandelt hat und was ihm dabei widerfahren ist, wenn er also ehrlich erzählt, so gibt er über sein Lebenswerk auch Erfahrungen weiter. Er gibt weiter, wie er schwierige Situationen bewältigt hat. Das kann seine Enkel noch interessieren. Denn auch die werden immer wieder in Situationen kommen, die schwierig sind, und sie werden ihrem Großvater dankbar sein […].
Inzwischen hat sich ein richtiger Markt für das Schreiben dieser gewöhnlichen Lebensgeschichten entwickelt. […] ›Am Ende seines Lebens hat man so viele Erfahrungen gesammelt, dass es ein Grundbedürfnis ist, noch einmal zurückzuschauen‹, erklärt sich Rohnstock die Nachfrage – und zitiert dazu den Spruch: ›Leben kann man nur vorwärts, begreifen aber nur rückwärts.‹
[…] Katrin Rohnstock hatte die Lebenserinnerungen einer privaten Auftraggeberin niedergeschrieben und dann festgestellt, dass es genau für diese Arbeit der Dienstleistung eine große Nachfrage gibt. Inzwischen hat Frau Rohnstock ein vielköpfiges Team um sich geschart. […] Aus den Erlebnissen und Erfahrungen von zunächst einmal fremden Menschen eine Geschichte zu machen, die auch für andere lesenswert sind, setzt Fähigkeiten voraus, die nicht jeder hat.