25 Jahre Deutsche Einheit – ein freudiges Jubiläum, mit dem viele ehemalige DDR-Bürger einen herben Einschnitt in ihrem Leben verbinden. Nie waren sie vorher davon ausgegangen, dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren könnten. Mit dem Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft sahen sie sich plötzlich mit dieser Tatsache konfrontiert. Reihenweise machten Betriebe dicht, die Industrie brach zusammen, die Verwaltungen wurden umgekrempelt und mit Westdeutschen besetzt. Auch die Wissenschaftseinrichtungen bildeten dabei keine Ausnahme.
In der Rückschau auf seine Anstellung zu DDR-Zeiten sagt der Buchbeiträger Bernd Schmelzer (54), ehemaliger Kumpel und Brigadier des Kalibergwerks »Thomas Müntzer« in Bischofferode: »Ich bin froh, dass ich mich nie habe entscheiden müssen: Heimat oder Arbeit!« Schmelzer wurde 1960 in Bischofferode geboren. Sein Vater war Kalikumpel, sein Großvater ebenfalls. Von Beginn an war für ihn klar, dass auch er Kumpel werden und bis zum Ruhestand bleiben würde. Doch dann kam die Wende.
Sieben Frauen und 23 Männer, geboren zwischen 1929 und 1971, geben in dem Buch Auskunft über ihr Arbeitsleben in der DDR und dessen abruptes Ende. »Das wäre nichts Besonderes, würde die Rückbesinnung nicht ein Vierteljahrhundert nach diesem damals als radikal und bedrohlich empfundenen Bruch in der eigenen Biografie stattfinden.«, sagt die Berliner Kulturwissenschaftlerin Isolde Dietrich (72). »Inzwischen haben alle Beteiligten neue Erfahrungen gesammelt, können Verlust und Gewinn jener lange zurückliegenden Lebenswende abwägen. Die Bilanz fällt höchst unterschiedlich aus. Die Schilderungen sprechen für sich, bedürfen nicht der Interpretation.«
»Die Resonanz auf das Thema ist groß«, erzählt Herausgeberin Katrin Rohnstock, die sich 1998 mit ihrem Berliner Unternehmen Rohnstock Biografien auf das Schreiben von Lebensgeschichten spezialisiert hat. »Mit dem Abstand von 25 Jahren kommen erfahrungsmäßig die eigenen Erinnerungen an die Oberfläche.« Lange Zeit nach der Wende seien die großen politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge die Platzhalter des kollektiven Gedächtnisses gewesen, stellt die in Jena geborene und aufgewachsene Germanistin fest. »In den Medien und in der Literatur war kein Raum für die kleinen und großen Nöte im Privaten, die mit dem Zusammenbruch der DDR einhergingen. Die ‚Deutsche Einheit’ war schließlich ein geschichtliches Jubelereignis, da sollte doch der Verlust von Arbeitsplätzen nicht ins Gewicht fallen.«
»Wer über andere existentielle Ressourcen als sein Arbeitsvermögen verfügte, lebte hinfort unbehelligt. Das konnten einstweilen nur sehr wenige Ostdeutsche. Die weitaus meisten mussten und wollten Arbeit leisten, und sofern sie trotz anhaltender Bemühungen keine ordentliche Arbeit fanden, nagte das alte Stigma unerbittlicher denn je an ihrem Seelenfrieden. Sie blieben, arbeitslos geworden, formell und rechtlich Bürger unter Bürgern, aber das moralische Empfinden überstimmte die Statusgarantien und erkannte auf innere Ausbürgerung.«
»Unter den Befragten der ostdeutschen Lebensverlaufsstudie, die ihre Erwerbstätigkeit nicht ganz aufgeben mussten, waren im Zeitraum zwischen 1989 und 1996 über 40 Prozent mindestens einmal arbeitslos. Etwa zwei Drittel mussten die Firma verlassen, in der sie 1989 gearbeitet hatten, und mehr als die Hälfte hatte bis 1996 einen weiteren Arbeitsplatzwechsel. Etwa ein Drittel wechselte den Beruf; berufliche Abstiege waren dabei doppelt so häufig wie berufliche Aufstiege.«